Unmittelbar vor Eröffnung der Berlinale hat der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) das, was die Bundeswehr in Afghanistan macht, als „bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts“ bezeichnet. In der Formulierung kann man einen Fortschritt gegenüber der Sprache der Amtsvorgänger erkennen, das K-Wort aber verkneift sich auch Westerwelle, der mit dem Verweis auf das „humanitäre“ Völkerrecht zudem vorauseilend alle Assoziationen dementiert, die sich an einen Begriff wie Krieg heften können.
Das passt in gewisser Weise zur Berlinale, wo man im routinierten und unendlich diversifizierten Festivalbetrieb unserer Tage den Krieg als zeitspezifisches Hintergrundrauschen kaum wahrnimmt. Dabei verursachte der
sachte der Krieg im Kino gerade hier dereinst ein Tosen: 1970 trat die Jury im Streit um Michael Verhoevens Wettbewerbsbeitrag o.k., einem Vietnamkriegsfilm, zurück, und 1979 führte die Aufführung von Michael Ciminos Vietnamkriegsfilm The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen) zum Rückzug der sozialistischen Länder aus dem Festival.Domino DayDabei ist der Krieg durchaus ein Thema in den Filmen des Festivals; der Unterschied zu Vietnam besteht nur darin, dass die Welt zu mediatisiert geworden ist, als dass das Kino Bilder zeigen könnte, die Furore machen. Bestes Beispiel für die Selbstverständlichkeit der „bewaffneten Konflikte“ ist Roman Polanskis Film Der Ghostwriter, der im Wettbewerb zu sehen war und diese Woche in die Kinos kommt. Der Ex-Premier, den Pierce Brosnan hier spielt, hat etwa aufgrund seiner Pudelhaftigkeit gegenüber den USA Ähnlichkeit mit Tony Blair. Die Anschuldigungen und Demonstrationen, denen sich Brosnans Politiker ausgesetzt sieht, betreffen das Irak-Engagement Großbritanniens, ohne das allerdings die Grenzen des Thrillers je überschritten werden.So steht die Frage, wie heute, wo der Krieg genauso wie der Verteidigungsministerbesuch gut ausgeleuchtet ins Arsenal der Fernsehnachrichten gehört, vom Krieg filmisch erzählt werden kann. Eine berückende Variante stellt Philip Scheffner mit Der Tag des Spatzen im Forum vor. Scheffner, der bereits vor zwei Jahren mit The Halfmoon Files für Aufmerksamkeit sorgte, gelingt ein erhellender Essay-Film über Vogelbeobachtung und Kriegsführung.Den Ausgangspunkt bilden zwei Zeitungstexte am gleichen Tag. Der eine ist eine Meldung über die Bundeswehr aus Afghanistan, der andere, dem zuerst das Augenmerk gilt, der Bericht vom Tod eines Spatzen in Leeuwarden, Niederlande. Der gewaltsame Tod des Vogels wird weltumspannend breaking news, was dazu führt, dass für Nachfragen irgendwann Regierungsstellen zuständig sind, die den Leichnam des Vogels wie eine Staatsaffäre behandeln. Sterben musste der Spatz, weil er in die wie ein Hochsicherheitstrakt gehütete Halle der Unterhaltungssendung Domino Day eingedrungen war, in der Tausende von Dominosteinen darauf warten, telegen umgeworfen zu werden.Das Motiv der Kettenreaktion überträgt Scheffner auf seine Recherche, die Ornithologie und Militäreinsätze in einen Zusammenhang bringt. So ist zu erfahren, dass die Bundeswehr feindliches Gebiet zuerst auf mögliche Vogelpopulationen hin untersucht, die einen späteren Einsatz behindern könnten. Gehindert wird Scheffner an der Informationserhebung über die Arbeit der Bundeswehr in Deutschland. Telefongespräche mit der Pressestelle transkribiert der Filmemacher in einen Verfremdungseffekt: Während Scheffner am Telefon seine Nachfragen stellt, erscheint die Absage der Pressestelle, nicht an seinem Filmprojekt mitzuwirken, als geschriebener Text im Bild. Letztlich begründet wird die Absage mit der Angst vor dem schlechten Licht, in dem die Armee erscheinen könnte, und wirft damit, so sichtbar wie Scheffner dieses Unbehagen macht, ein schlechtes Licht auf die nationalen Sicherheitsorgane.Nach zwei Dritteln variiert der Film, der Übungsschauplätze in Deutschland erkundet und Erfahrungsberichte von Soldaten integriert, noch einmal sein Thema: Ein Mitglied der Militanten Gruppe, die sich wegen eines versuchten Anschlags auf Bundeswehrfahrzeuge in Brandenburg vor Gericht verantworten musste, wird als Freund des Filmemachers eingeführt. Gemeinsam beobachten beide Vögel an Brandenburger Seen und besuchen den Berliner Botanischen Garten, um dabei ungezwungen über die Feinbildproduktion im Dienste der deutschen Sicherheit zu sprechen. Das ist mitunter komisch und fügt sich zugleich in Scheffners radikalen, nur scheinbar harmlosen Ansatz, Krieg zu begreifen vor dem Hintergrund der Landschaft, in der er geprobt wird.Akribische InsertsDie Landschaft, die in Constantin Popescus Film Portrait of a Fighter as a young Man ebenfalls im Forum zu sehen ist, zeigt die Wälder und Felder Rumäniens. Popescu beleuchtet ein unbekanntes Kapitel der Weltgeschichte, den Kampf von antikommunistischen Partisanen in den ersten fünfzehn Jahren nach Kriegsende. Der Film ist ein eigenwilliger Hybrid: Er will Gerechtigkeit für die unbekannten Kämpfer, dokumentiert mit akribischen Inserts jedes Datum und verströmt am Ende ein wenig Freiheitspathos – um zu gleich über 160 Minuten alles zu tun, um Heroisierung und Ideologisierung zu vermeiden. So bildet sich nur mehr die Struktur der Auseinandersetzung zwischen zwei Apparaten ab – zwischen den versprengten Kämpfern, die den Rückhalt in der Bevölkerung wie die Motivation ihres Tuns verlieren, die Stalins Tod feiern und auf die Amerikaner warten, auf der einen Seite und dem sich entwickelnden Geheimdienst auf der anderen. Portrait of a Fighter funktioniert wie ein Passepartout, in das sich alle Oppositionen von – je nach Perspektive – Revolution und Repression beziehungsweise Terror und Macht spannen lassen.Bemerkenswert offen ist auch die Art, in der sich Laura Poitras in dem Dokumentarfilm The Oath dem einstigen Leibwächter Osama bin Ladens nähert (und seinem in Guantanamo inhaftierten Schwager). Ein Taxifahrer, der mal gut gelaunt Witze macht, mal stolz Eleven von bin Laden erzählt, und dabei das Nachrichtenbild vom Bösen irritiert: Portrait des Terroristen als gewöhnlicher Mann.